Station 7: Ehemaliger Konsum

Soziale Not

Dußlingen galt wie die meisten bevölkerungsreichen Gemeinden im Steinlachtal während des 18. und 19. Jahrhunderts als ausgesprochen arm. 1790 sollen 97 Prozent aller Bürger verschuldet gewesen sein. Zwischen 1815 und 1900 (damals gab es 2055 Einwohner) wanderten 293 Dußlingerinnen und Dußlinger angesichts permanenter Not aus. In Dußlingen wurde als erster ländlicher Gemeinde im gesamten Oberamt Tübingen 1849 ein Armen-Unterstützungs-Verein gegründet. Die damals vorherrschende agrarische Wirtschaftsweise führte angesichts eines dauerhaften Anstiegs der Bevölkerungszahl dazu, dass die begrenzte Markungsfläche nicht mehr allen ein Auskommen ermöglichte.

Die Realteilung hatte viele landwirtschaftliche Anwesen auf weit unter zwei Hektar verkleinert, so dass fast alle Bauern ein Handwerk oder ein Gewerbe im Nebenerwerb betreiben mussten.

Viele verarbeiteten Flachs, andere betätigten sich als Weber und Taglöhner. 1828 verdiente etwa ein Siebtel der Berufstätigen sein Brot mit Weben. Zehn Prozent waren Tagelöhner. Nicht wenige Dußlinger suchten im Hausierhandel ihr Auskommen. Die Gemeinde wurde 1790 in einem Atemzug mit den Hochburgen des Hausierhandels, Eningen und Lützenhardt, genannt. Sieht man von Gönningen, das seinerzeit zum Oberamt Tübingen gehörte, einmal ab, so stellten Beamte 1892 fast ein Viertel aller Wandergewerbescheine im Tübinger Bezirk für Dußlingerinnen und Dußlinger aus. Meist übten Witwen das Gewerbe aus, handelten mit Gartengewächsen, Butter, Lebkuchen oder Dörrobst, einzelne auch mit Kurz- und Galanteriewaren, Bäusten, Dochten, Strohbändern. Einzelne Männer handelten mit Kesseln und Korbwaren oder mit Rechen und Gabeln.

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wurden Fußmatten zum bevorzugten Handelsgut der Dußlinger Hausierer. Sie bezogen die Ware von Landesgefängnissen, vor allem aus Rottenburg. Vor und zwischen den Weltkriegen verschaffte der Mattenhandel bis zu 40 Personen ein Auskommen.

Arbeiter

Angesichts der allgemeinen sozialen Not im 19. Jahrhundert nutzten viele Dußlinger die Chance zum Einkommenserwerb, welche die Industriearbeit bot. Zunächst fanden viele Dußlinger Beschäftigung in auswärtigen Fabriken, 1929 waren es 499 von 2285 Einwohnern. Demnach arbeitete durchschnittlich aus jeder Familie ein Mitglied außerhalb. Mit der Eisenbahn pendelten sie nach Tübingen, Derendingen und Hechingen. In Dußlingen selbst boten vor allem mittelständische Betriebe Arbeitsplätze, so die Dampfziegelei von Georg Finkbeiner, Jakob Rillings IRUS-Mühlenbau (105 Arbeiterinnen und Arbeiter 1917), die Brauerei von Robert Wörner auf der Steinlachburg (bis 1918), zwei Sägemühlen und die Zementfabrik in der ehemaligen Pulvermühle. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hielt die Entwicklung an; 1961 war jeder zweite Erwerbstätige Pendler.

Viele Fabrikarbeiter entwickelten früh ein Zusammengehörigkeitsgefühl, schon Ende des 19. Jahrhunderts bestand ein "Arbeiterverein" in Dußlingen. Vor allem 1904 schuf der Arbeiterverein feste Strukturen, indem er sich der SPD anschloss, die immer größeren Zulauf erhielt.

Noch 1904 riefen "Fabrikler" auch einen Arbeiter-Turn- und Sportbund als Alternative zu dem bereits seit vier Jahren bestehenden bürgerlichen Deutschen Turnverein ins Leben. Zum Umfeld der Arbeiterschaft gehörte während der Weimarer Republik zudem ein Konsumverein der SPD, eine Art von Einkaufsgenossenschaft. Sein Gebäude wurde 1966 am Standort des einstigen Gasthauses Sonne neu errichtet (später COOP).

Das neu gewonnene politische Selbstbewusstsein vieler Arbeiter spiegelt sich besonders deutlich an den Wahlergebnissen zum Reichstag während der Weimarer Republik (1919-1933) wider. In Dußlingen erreichten KPD und SPD zusammen zwischen 1919 und 1933 im Schnitt von neun Wahlen 46,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit lässt sich die Gemeinde dem "roten" Steinlachtal zuordnen, wo in Mössingen, Nehren und Bodelshausen die Arbeiterparteien ähnlich deutlich dominierten. Sehr stark war bis 1930 in Dußlingen außerdem die linksliberale Demokratische Partei.

Ab 1850 entstanden in Deutschland nach englischem Vorbild sogenannte "Konsumvereine". Sie wollten ihren Mitgliedern preiswerte und qualitativ einwandfreie Lebensmittel beschaffen. Ab 1880 kam es zu Masseneintritten aus der Arbeiterschaft. Der Dußlinger Konsum bestand bereits in der Zeit der Weimarer Republik. Nach ihrer Aufhebung durch die Nationalsozialisten lebten die Konsumgenossenschaften seit 1945 wieder auf.

In Dußlingen eröffnete die Konsumgenossenschaft Reutlingen 1966 ein Selbstbedienungsgeschäft am Hindenburgplatz. In dem ehemaligen Konsumladen Dußlingens befindet sich heute ein türkisches Feinkostgeschäft.